Zur Eröffnung in der Produzentengalerie am 1.Oktober 2019

Aufgrund meiner wenige Monate zurückliegenden Bekanntschaft mit einigen Arbeiten Marielis Seylers es mir erbeten, ihre Einzelausstellung in Wolf Werdigiers Produzentengalerie, das war vorgestern, im Herumgehen mit ihr zu eröffnen, in kleinen Dialogen. ihr Kälbchen, zu dem wir als erstes treten: von ihr hinter einem Bauernhaus verendet aufgefunden worden: totenblaß seine Wiedergabe, aber sie hat ihm mittels Doppelbelichtung einen Zwilling untergeschoben, etwas eingeschattet, als wär das sein schmaler Schatten – sei der doch als sein Seelenzwilling mit ihm entschlafen, lang vor der Auferstehung der unschuldigen Tierwelt, gehorsam ihren Instinkten! ein von ihr gerade noch an den Ohren erkennbar eingedunkelter Feldhase, von einem Jäger für sie geschossen, ihr vor die Haustür gelegt, aber von ihr mit (mit roter Farbe) angebluteten Gazestreifen verbunden: wird weder zu einem Hasenbraten werden noch verwesen, hat sich ja schon zu entmaterialisieren begonnen, ist von der Körperlichkeit eines Gespenstes, und wäre der Auferstandenen verklärten Leibes lichtvoll zu gedenken. ein kopfüber hängendes Reh – ganz von ferne gemahnt es an die natur-morte-Jagdbilder, hat sich aus denen aber in andere Sphären hinangehoben, wiewohl zugleich in seinem Bild geblieben, darin unterstützt von der liebreichen Behandlung mit farbigen Beigaben.

Opfer sind Marielis Seylers Tiere, aber sie zitieren nicht die in allen Kulturen geopferten Lämmer herbei, sich selbst genug – da stellt sich als ein Gegenbild noch eher das stolze Lamm Jan van Eycks ein, Genter Altar. ihre Sonnenblumen! in die Farben von Disteln verfremdet und wie eine einzige stattliche anzusehen – nicht einem derer von uns, die sich fast zwanghaft vor Bildern thematisch vergleichbare aufsteigen lassen, wird vor diesen Sonnenblumen von denen eines van Gogh (pardon) belästigt werden. ein ganz kleines, weil sehr junges Menschenkind, in einer Haltung wie im Mutterleib, mit Geborgenheit umschlossen von einem Laubblatt – welches Kind, etwa der Däumling, ists im Märchen, das durch ein Gewässer ähnlich unterwegs ist? denkst an das Bambuskörbchen, in welchem der kleine Moses aus dem Nil aufgefischt wird. ganz anders das großformatige Bildnis zweier Mädchen mit Boxerhund in ihrer Mitte.

langhaarig, blond und nackt stehen sie da, schauen ganz unbefangen der ihnen vertrauten Photographin entgegen, und nicht nur der Braunton des Ganzen (Fotoemulsion auf Packpapier) versetzt diese Inszenierung in die Belle Epoque. der wie ein Höllenhund auf uns Stierende könnte den Anschein erwecken, die beiden Mäderl als sein Eigentum zu erachten, das er daher auch zerfleischen dürfte, ist aber auf den zweiten Blick ihr Beschützer, der von ihnen geteilte Schutzengel. kein Päderast wird sich an ihnen zu vergreifen wagen, und verlangte es seine Finger nach einem Hintasten auf ihre einem Bleistiftstrich gleichenden weiblichen Spalten. ja, zur Zeit der Monarchie haben Kupplerinnen solche Mäderl Offizieren zugeführt, und wäre diese Szene von einem Kollegen Marielis Seylers festgehalten worden, läge der Argwohn nahe, seine Intention sei es gewesen, alte Männer in Stimmung zu bringen – hast vor dieser unschuldigen Dreiergruppe an Lucas Cranach den Jüngeren gedacht, von dir von jeher als ein Pornograph angesehen, aufgrund der Busen- und Unterleibsverschleierungen seiner Damen von einer Durchsichtigkeit, die jedermanns Blick raffiniert dorthin lenkt. dann hab ich Marielis zu den Arbeiten begleitet, um nicht zu sagen: gezogen, mit denen sie sich dem Anspruch der Kunst auf Originalität, von Zeitgeistigem wie zu jeder Zeit unterhöhlt, aufs schönste würdig erweist – da beschreitet sie noch deutlicher neue Wege, auch technischer Art: siehe Adornos Diktum, die Wahrheit eines Kunstwerks drücke sich in seiner Technik aus, sei einzig der abzulesen: ein großformatiges Naturbild. auf einem Wald- oder Wiesenboden liegt ein Nackter oder eine Nackte auf dem Rücken – von Herbstlaub zwar schütter, aber so bedeckt, daß die Geschlechtszugehörigkeit ausgespart bleibt.

meines Erachtens ist es ein Mann, und einer wie ich sagt sich: da träumt einer, vielleicht in seinem Bett, was wir da vor uns haben: nackt in einer Wiese zu liegen und von Blättern überrieselt zu werden wie von Schnee. oder hätt er eine Überdosis Schlafmittel geschluckt, um unter fallenden Blättern zu entschlafen? oder ist das eine lebensgroße Gliederpuppe? oder wird da einer, in dieser Lage frisch vorgefunden, von der Mordkommission fürs erste photographiert? oder liegt er doch nur einem Werbefachmann Modell, beispielsweise für ein Bräunungsmittel, er ist ja sehr blaß? (dergleichen sich durch den Kopf gehen zu lassen, das gestattet der Rätselcharakter der Kunst, ihr Mehrdeutiges – eindeutig hat ja nur die Wissenschaft zu sein. also das eine der Arbeiten, einem hochoriginellen Verfahren zu danken, das sich Marielis leider nicht patentieren lassen kann: sie legt das Großformat, den photographierten Nackten, unter einen Baum, von dem Blätter fallen, und photographiert die zureichend beblätterte Photographie ein zweites Mal).

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Marielis Seyler. Vergangene und zeitgenössische Ikonen